Vernissage: Freitag 25. November 2011 18 Uhr Was Walter Benjamin über Gebäude sagte, nämlich, dass sie durch ihren Gebrauch und genauso über ihre Wahrnehmung rezipiert werden, das trifft wohl noch in gesteigertem Mass auf die Stadt zu – einer Ansammlung von Gebäuden und mehr: Verkehrslinien, Orte, Plätze, Gebäude, Räume und schliesslich Menschen. Das Eine ist nicht ohne das Andere zu denken; keine Stadt ohne den Verkehr, der sie prägt, die Orte, die sie formen und die Menschen, die sie benutzen.Martin Möll durchstreift mit offenen Augen und wachem Geist diese Orte und die Stadt, sei es Paris oder das Berner Liebefeld. Die Orte und vor allem die Spuren der Bewohner und Passanten trägt Martin Möll ins Atelier und schliesslich in den Ausstellungsraum. Ein Geflecht an Linien hat er durchschritten, dessen virtuelle Essenz nun auf dem Boden ausgebreitet liegt. Es sind die ausgeschnittenen Strassenlinien von Stadtkarten, die scheinbar über die Fensterfront des gepard14-Raums von Aussen – von der Stadt, vom Quartier – eingedrungen sind. Diese Essenz, die reinen Linien, die für das Schreiten und für die Blickachsen gleichzeitig stehen, wirft nun ihren Schatten auf die Wände, an denen Martin Möll seine Spurensuche enthüllt.Auch hier gleiten die Blicke in alle Richtungen und die Achsen ändern sich stets, so, als wären wir immer noch draussen in den Strassen und allen Sinneseindrücken ausgesetzt. Sehr direkt hat Martin Möll Spuren gesammelt: An erster Stelle Fundstücke wie die Bruchstücke von Armierungseisen oder dem Altpapier. 257 Bündel sammelte er in Liebefeld und Köniz und stapelte sie zu einem Block, zu einer massiven Mauer, einem Hindernis vielleicht und vor allem einem kubischen Volumen, das uns an all die kleinen Zeitungsstapelchen der recyclierfreudigen Schweizer Bürger an unseren Strassen erinnert. Darüber schwebt die Sonne: «sun» nennt Martin Möll den Abzug eines überfahrenen Negativs, das nun die Spuren seiner nächsten Umgebung für alle Zeiten aufgenommen und eingebrannt hat. Die Fotografie zeigt eine zweite Art der Spurengewinnung: Negative, im belichteten oder unbelichteten Zustand, liess Martin Möll von Autos überfahren. Beim Erstellen eines Abzugs zeigen sich die hinterlassenen Spuren. Wie bei «sun» wird etwa die Schrift eines Gullydeckels festgehalten. In ähnlicher Weise fertigte der Künstler Kohleabdrücke, auf denen ebenso Autos aus Liebefeld ihre «Eindrücke» hinterlassen haben. Auch die Fotogramme sind unmittelbare Spurenspeicher: Aus einer ehemaligen Versuchsanstalt in der Nachbarschaft belichtete Martin Möll Objekte (ein Vorhang, eine Luftpolsterfolie) direkt auf Fotopapier. Auf den Fotogrammen sind die Objekte nur noch andeutungsweise, geisterhaft sichtbar. Sie könnten jeden Moment vollkommen verschwinden.Neben diesen ganz konkreten Spuren zeigt Martin Möll in drei Fotografien unter dem Titel «slogan» die Ansichten auf veränderte SVP-Plakate. Sie offenbaren einerseits wie eine Stadt lebt und wahrgenommen wird, andererseits präsentiert er diese Ansichten in kleinem Format und schlichtem Schwarzweiss: All das Laute, Plakative, Vereinfachte der Originalplakate in Form und Inhalt ist aufgehoben. Noch einen Schritt deutlicher wird Martin Möll in den Zeichnungen «in the street»: Die Stadt wird zur Bühne für «riots» und Demonstrationen. Aber die Bühne bleibt ausgespart und dennoch präsent.So bietet uns Martin Möll nicht das Bild – die Eindrücke – einer spezifischen Stadt oder einer utopischen, vielmehr entwickelt er eine fiktive, aber mögliche Stadt, vielleicht auch nur das Gefühl einer Stadt. Eine Stadt als enormem Pool an Potentialitäten, die sich in jedwede Richtung verflechten können – zu neuen Formen oder Geschichten.Text: Dominik Imhof